Ein ARTTV-Beitrag – am 04. Juli 2018 publiziert:
https://www.arttv.ch/videoembed/?vid_id=7286
Kunstentwurf zwischen Theater, Tanz und Videoinstallation
Eine schillernde Reisegesellschaft legt sich an Deck eines abgelebten Schiffes und gondelt durch die Weltmeere – ohne sichtlichen Kurs. Ob sie je ankommen werden? Ob sie je ankommen wollen? Die Expedition lässt sie daran glauben, neue Selbstgebiete zu entdecken. Unfreiwillig werden sie im Bauch des Schiffes zum Forschungsteam und planen die Sprengung ihres eigenen Horizonts. Was bewegt den Menschen in seinem Menschsein, tönt es durch alle Ritzen zum Sound von Kontrabass, Tuba und manch anderem.
In diesem Bühnenstück rücken Alltag und Kunst eng zusammen und landen direkt vor den Füssen des Publikums. Dazwischen sind Projektionsflächen, ein Ensemble mit Filmer und Musiker zu entdecken. Ein kleines Spektakel – munter, rau und hintersinnig.
Ensemble:










Gesamtkonzept und Künstlerische Leitung:
Micha Stuhlmann
Videokonzept:
Raphael Zürcher http://www.raphaelzuercher.ch
Kontrabass und Sounddesign:
Marc Jenny http://www.marcjenny.com
Sound:
Christian Schäppi http://www.soundengineer.ch
Kostümbild:
Ellen Finus
Dieter Langhart- Himmelhoch jauchzend, 31. Oktober 2017,Tagblatt Focus
12 Aufführungen an unterschiedlichen Orten liegen hinter uns. Es ist an der Zeit einen Rückblick auf den gesamten Prozess zu werfen, der mit der Permiere im Shed bei weitem noch nicht abgeschlossen war. Nicht nur das Stück hat sich verändert, sondern auch alle am Stück Beteiligten.
Prozess- und Filmarbeit
Prozessarbeit bedeutet, Ungewissheit und Unbestimmtheit auszuhalten, mit dem gleichzeitig sicheren Gefühl, auf dem genau richtigen Weg zu sein. Obwohl ich zu Beginn des Erarbeitungsprozesses alles aufnehme, was in mir und den Beteiligten auftaucht, bleibt dieses Sammeln fragmentarisch und unterliegt letztlich meiner Wahrnehmung und persönlichen Wertung. In dem Moment, in dem ich spontan das Eine aufgreife, schliesse ich Anderes aus – ich disqualifiziere, ohne dass ich das will, andere Impulse, andere Idee und Gestaltungsmöglichkeit. Als auswählende Sammlerin übernehme ich automatisch die Verantwortung für das weitere Geschehen – für die Formen, Farben und Eigenschaften, die schliesslich der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Die Filmarbeit begleitete den gesamten Erarbeitungsprozess. Trotz Präsenz der Kamera während weiter Strecken der Proben, bleiben die Filmclips, die im Bahnhof Bernrain in Kreuzlingen entstanden sind, für das Ensemble zunächst unsichtbar. Erst während des Intensivwochenendes trifft die Livehandlung auf die projizierten Soli und treten in einen ersten Dialog. Unerwarteter Subtext erscheint, der sich wiederum auf die Handlung auswirkt. Neue Spuren mit ungewohnten Aussagen entstehen, die sehr unterschiedlich gelesen werden können – vom Ensemble, wie vom Zuschauer.
Die Livekamera erweitert die Szenerie um eine weitere Fährte. Dadurch werden neue Einblicke geschaffen, die durch die Fokussierung des Objektivs einerseits Wertungen und andererseits neue Erzählstränge schaffen.
Das Ensemble steht ab diesem Zeitpunkt in einer völlig neuen Situation und ist gefordert mit den Projektionen im einen Moment zu kommunizieren und sie in anderen auszublenden. Neue Bilder entstehen aus zufälligen Begegnungen und werden wieder gesammelt und bewertet.
Der Handlungsraum verändert seine Ästhetik. Mit Livekamera, Mikrophonen, Leinwänden und «Technikern», die den Handlungsraum queren, kommen dokumentarisch wirkende Aspekte dazu, die den performativen Charakter unterstreichen.
Die Musik kommt ebenfalls erst gegen Ende der Erarbeitung dazu. Sie greift Impulse auf und wirkt ihrerseits auf Atmosphäre, Zeitstruktur und Dynamik ein. Es eröffnen sich wiederum neue Blickwinkel und Darstellungen, die zwischen Komposition und Zufallsereignis schaukeln.
Die Kochaktion mit ihrer Geräuschhaftigkeit und Gerüchen erweitert die Komposition, zusammen mit filmischem Drehbuch und Bühnenhandlung zur Gesamtpartitur – diese wird erst zum Zeitpunkt der (Vor-)Premiere lesbar.
Das aufwändige Bühnenbild, die ausgefeilte Technik, die Eindeutigkeit und Brillanz der Filmclips geben – zusammen mit der live Musik von Marc Jenny – dem Ensemble Freiraum für ihr unverstelltes Spiel und zugleich eine Orientierungslinie und eine Art Fangnetz für ungeplante Zwischenfälle. Zudem wird über das «perfekte» Bühnenbild ein Teil der Erwartungshaltung des Publikums bedient. Das wiederum kommt dem Ensemble, das in gewisser Hinsicht den Erwartungen schauspielerischer Leistung weniger entspricht, zugute.
Das Publikum
Mit der Premiere kommt ein letzter Gestaltungsaspekt dazu: In der Handlung sind verschiedene Momente vorgesehen, in denen das Ensemble in direkter Kommunikation mit dem Publikum steht. Während der nichtöffentlichen Proben können diese Begegnungen nur in der Vorstellung der einzelnen Akteure stattfinden. Das Momenterleben der tatsächlichen Begegnung zwischen Ensemble und Publikum bleibt bis zur Premiere ein Überraschungsei. Das Ensemble sammelt erst im Verlauf der Tour die Erfahrungen, die nötig sind, um mit dem Publikum lockerer und sicherer umgehen zu können. Trotzdem bleibt der Kontakt mit dem Publikum bis zum Ende ein unberechenbarer Aspekt.
Das Publikum, als Teilhaber und Zeuge, wirft seinerseits subjektive Blicke, wirkt auf Stimmung und Atmosphäre der Inszenierung und bekommt dadurch eine Mitverantwortung an der Gesamtveranstaltung.
Akteure, Team und Publikum treffen sich gegen Ende im Bühnenraum, was zuvor in verschiedenen Aktionen vorbereitet wurde. Die Durchmischung wird Teil der Inszenierung – oder ist es vielleicht sogar umgekehrt, dass die Inszenierung alltäglich wird? Jedenfalls findet eine Achsenverschiebung zwischen Bühnen- und Zuschauerraum statt.
Es gibt nur Übergänge und keine Wechsel – es gibt kein Black, keinen Schnitt – die Bewegung, hin zur Alltäglichkeit und immer weiter weg von einer Inszenierung, wird vielleicht erst wahrgenommen, wenn mit Weinglas und Spaghetti-Häppchen in der Hand, die Zuschauer zu Akteuren und umgekehrt, das Ensemble zum Publikum wird. Etwas irritiert nimmt man wahr, dass es keinen Schlussapplaus gibt. Dafür gibt es Augenkontakte, Gespräche und Perspektivenwechsel. Und im ersten Abtasten der Beobachtungen und Rückmeldungen wird deutlich, dass «Beine baumeln himmelwärts» doch wohl eher nicht die übliche Publikumserwartung bedient.
Zwölf Aufführungen, viele Anpassungen
Nach der Veranstaltung in der Lokremise, St. Gallen (2. Vorstellung), bei der sich das Ensemble in bester Spiellaune befindet, kommt es zu stärkeren Grenzberührungen als bei der Premiere, bei der noch die Unsicherheit, sich dem Verlauf des Stückes anzuvertrauen, mitschwang.
Nach dieser Vorstellung spüre ich die Notwendigkeit, den Verlauf anzupassen. Die Inszenierung muss aufgebrochen werden, braucht im ersten Teil eine stringentere Struktur, damit sie sich noch deutlicher in die Alltagswelt hinein bewegen kann.
Als ein Ensemblemitglied nach einem Unfall für Wochen aussteigt, ist eine weitere Notwendigkeit gegeben, das «Drehbuch» zu überarbeiten. Es folgen zahlreiche und intensive Auseinandersetzungen und Proben mit den Akteuren, bis dann Ende Januar im Alten Zeughaus in Herisau (3. Vorstellung), die neue Inszenierung, ähnlich einer Premiere, gezeigt wird.
Allesamt sind wir von den Veränderungen überzeugt und die Anstrengung für die neue Erarbeitung ist vergessen – das Stück gewinnt an Klarheit – an Nachdruck. Als kleine und doch wichtige Erweiterung klinke ich mich, in der «Rolle» des winkenden Matrosen in den Verlauf ein und unterteile die Inszenierung in drei Kapitel, was der Orientierung von Ensemble und Publikum dient.
Im Neubad in Luzern (4. Vorstellung) treffen wir auf einen Bühnenraum, der haargenau auf uns abgestimmt zu sein scheint: Unser Bühnenbild verbindet sich perfekt mit dem Schwimmbad zu einem grossen Gesamten. Einige Erfahrungen (v.a. das Spiel mit den Raumebenen) nehmen wir mit in die anschliessenden Vorstellungen.
Bei den Aufführungen in der Spiegelhalle Konstanz (5. Vorstellung) fällt ein weiteres Ensemblemitglied kurzfristig für zwei Vorstellungen aus – wieder sind Veränderungen und Anpassungen gefragt. Das Ensemble stellt seine Flexibilität unter Beweis.
Das Ensemble zeigt sich bei jeder Vorstellung in einer etwas anderen Beschaffenheit. Die „Tagesform“ der Einzelnen variiert und trifft auf sehr unterschiedliche Raumsituationen und auf ein Publikum, was seinerseits wiederum in jeweils unterschiedlicher Verfassung, Erwartung und Zusammensetzung ist. Jede der zwölf Veranstaltungen wird zum Unikat und entzieht sich einem einfachen Vergleichen.
Jetzt liegt die Tour hinter uns und die Erfahrungen, in all ihren Unterschiedlichkeiten, sind Nährboden für die weitere Arbeit im Projekt.
Inklusion und Zuschauerrückmeldungen
Zur Auswertung der Produktion gehören für mich neben den persönlichen, subjektiven Eindrücken und statistischen Zahlen, die Zuschauerrückmeldungen. Sie zeigen Erwartungen und Wahrnehmungsgewohnheiten auf, die ich in dieser Arbeit weniger bediene, als absichtlich durchkreuzen und unterlaufen wollte. Immer wieder wurde die Frage laut, warum ich das Thema der Beeinträchtigung einiger Ensemblemitglieder im Vorfeld nicht kommunizierte, was manche Zuschauer als «Zumutung» und Provokation empfanden. Wahrscheinlich hätten wir genau diese Zuschauer mit Begriffen wie «Inklusion» nicht erreicht. Dadurch würden uns und ihnen diese Erfahrung fehlen. In der Diskussion um die sozialen Aspekte der Arbeit, wären wohl die künstlerischen in den Hintergrund getreten. Dies bestärkt mich darin, auch weiterhin «Inklusion» im Team, im Prozess und in den Inhalten umzusetzen und öffentlich als Selbstverständlichkeit unbenannt, stattdessen auf die künstlerischen Inhalte verweisend, zu kommunizieren. (Das Publikum zu einem Bestandteil der Inszenierung zu machen, unterstreicht die Forderung nach Inklusion in einer eher ungewohnten Weise.)
Die Gleichzeitigkeit von Live-Handlung, Filmdokument und Live-Kamera, Live- Musik und Kochaktion unterstreicht den sinnlichen und weniger intellektuellen Unterton des Stücks und forderte das Publikum auf, seine eigene Gestaltungs- und Bedeutungslinie zu suchen. Manche Zuschauer erlebten diesen unausgesprochenen Aufruf zur Partizipation als erweiternde (Rezeptions)-Erfahrung und kamen daraufhin ein weiteres Mal. Andere, v.a. «Theaterliebhaber» erlebten sich überfordert und vermissten die eindeutige Aussage und den linearen Erzählstrang.
Obwohl im Vorfeld zwar kommuniziert, dass neben der prozesshaften Stückentwicklung auch die Aufführungspraxis selbst prozesshaft sei, war dieser Aspekt aber nur wenigen «Stammgästen», dem Team und Ensemble bewusst. Hier könnte eine klare und öffentliche Kommunikation im Vorfeld vermittelnd wirken.
In den Zuschauerstimmen spiegeln sich aus sehr unterschiedlicher Perspektive Aspekte zu Darstellungsweise und Inhalten, zu Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Rezeption der Inszenierung und zum Zusammenspiel und Wirkungsweise der verschiedenen Medien.
Meine persönlichen Ausführungen zu Arbeitsweise, Darstellungsweise, Darstellungsinhalt und Prozess sind im Rückblick nur knapp gestreift, dafür lasse ich Ensemble und Publikum etwas ausführlicher sprechen, um ein umfassendes Bild abzugeben.
Themen, die in die weiterführenden Arbeiten einfliessen
- Die Kopräsenz von Publikum und Ensemble im Moment der Performance als Gestaltungsmittel in den Erarbeitungsprozess einbeziehen.
- Die unterschiedlichen Formen der Partizipation und den Gestaltungsprozess reflektieren (für Ensemble), transparent (für Publikum) und erlebbar (für alle) machen.
- Ein inklusives Ensemble generiert nicht selbstverständlich ein inklusives Publikum. Hier muss nach vermittelnden Strategien gesucht werden, um die besuchsverhindernden «Barrieren» aus dem Weg zu räumen.
- Inklusion soll kein Aufruf zur Anpassung an gesellschaftliche Strukturen sein, vielmehr eine Aufforderung an uns alle, eigene Anpassungsgewohnheiten zu überprüfen – wir pflegen Diversität, Individualität ohne Egotrip.
- Der Schwerpunkt liegt weiterhin im Prozesshaften, sowohl was die Erarbeitung und Gestaltung wie auch die Präsentation betrifft.
Statements des Ensembles
«Hier ist die Bühne für mich wie eine kleine heile Welt. Da darf ich mal so sein wie ich es gerne haben würde. So sein wie ich bin, mich nicht verstecken und verstellen müssen und v.a. nicht perfekt sein müssen… und diese Vertrautheit, die entsteht…» Monika Guélat
«Die Proben und Auftritte führten mich manchmal an meine körperlichen und psychischen Grenzen. Ich ermüde rasch. Trotzdem: Ich kann mich kreativ ausdrücken, darf anders sein, indem ich Ich bin. Ich will zeigen wie mein Leben ist.
Bei den Auftritten konnte ich ganz abtauchen in die Welt der Schiffspassagiere und in meine eigene Welt. Wir sind alle so verschieden, und doch hat jeder Platz und seine Berechtigung. Zudem haben wir uns diese Welt über Monate aufgebaut. Es ist immer spannend zu sehen, wie wir uns darin wieder neu bewegen.» Gerda Löw
«Wir haben uns gesteigert, sind freier geworden – auf der Bühne, vielleicht auch im Leben?! Am Anfang war ich eher steril, eher unsicher, dadurch war auch der Kontakt zum Publikum anders.
Das Publikum fragt immer wieder: Wie kommt ihr zu so einem Stück?»
Marlies Verhofnik
«Ich fands gut und anstrengend. Manchmal wäre ich lieber zu Hause geblieben und nicht noch zur Probe gefahren. Ich muss viel arbeiten und man wird älter. Deshalb höre ich jetzt auch auf.» Urs Ilg
«Im Gegensatz zum „Traumschiff“ zeigen wir das Gegenteil – wir reizen aus, schauen hinter die schöne Fassade.
Erst war alles durcheinander. Mit der Zeit erst entstanden Teile: Schiffgesellschaft, Einzelszenen, Dinner.
Statt Schluss-Applaus miteinander ins Gespräch zu gehen, zeigt mehr Wertschätzung.» Kurt Riederer
«Diese Entdeckungsreise, die zu meiner eigenen wurde, konnte kaum unterschiedlicher sein. In der gemeinsamen Auseinandersetzung und Arbeit lernt man sich irgendwie neu kennen und rückt ganz eigene Eindrücke ins Scheinwerferlicht – ohne in eine Bewertung zu rutschen. Jede Kante, jeder Schatten, jede Struktur bekommt seine ganz eigene Bedeutung und Wichtigkeit. Das Zusammentreffen von Bewegung, Tanz, Gesang und Darstellung, diese Kombination aus allem ermöglicht mir, mich als Individuum so ganz zu erleben. Ausserdem ist das Zusammenspiel vom Einzelnen und dem Ensemble echt herausfordernd und gleichzeitig ein kleines Wunder. Der Einzelne ist wichtig und das Ensemble – Egotrip und Gemeinschaft gleichzeitig…» Lilli Stuhlmann
«Ich hab viel gesungen- das war schön. Wasserschlacht und Essen war besonders – nicht mit Gabel zu essen, sondern mit den Händen- macht man ja sonst nicht. Ja und die tollen Videos von Raphael- echt wie Ferien auf einem Schiff, nur eben nicht echt.»
Tobias Schmidli
«Das Experimentieren und der Prozess – auch mit mir selbst, war spannendes Neuland und nicht immer einfach. Was will ich zeigen, wieviel will ich zeigen? Die Prozessbegleitung war gut und wichtig – Begleitung und Konfrontation.
Was mir an den Proben gefallen hat, war die Mischung aus Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit – eigentlich eine sehr weise Lebenshaltung. Inzwischen wünsche ich mir noch mehr Schrägheit, Mut sich aufs Ungewohnte einzulassen – wie das die Zuschauer ja auch tun müssen.» Jenny Wienrich
«Das Stück zeigt stark, wie ich im Leben stehe. Dass ich plötzlich nicht mehr dabei war, hat mich sehr berührt. Das Tubaspielen – da kam meine Sehnsucht zum Ausdruck, meine Sehnsucht nach Liebe. Später, als Zuschauer war mir Einiges manchmal dann zu abstrakt.» Johannes Widmer
Stimmen des Publikums
«Wir haben gestern deine Aufführung im Kammgarn gesehen – und haben uns herrlich amüsiert! Ganz herzliche Gratulation! Ein wahrlich bunter Strauss von Szenen zwischen humorvoll-witzig bis tragisch-berührend, jede Person mit ihrem speziellen Charakter und eigener Geschichte, liebevoll gemacht, absolut spannend und manchmal umwerfend komisch-absurd. Die Schauspieler/innen überzeugten alle auf ihre Art, du hast ihre Eigenheiten und Möglichkeiten hervorragend aufgenommen und „in Szene gesetzt“ – bewundernswert. Ich nehme an, das junge Girl ist deine Tochter – unglaublich die Ausstrahlung, die sie hat. Die „Fress-Szene“ z.B. war absolut umwerfend, dass man auf der Bühne derart lustvoll derart „gruusig“ saufen und Spaghetti in sich hineinstopfen kann, muss man schon können.
Auch die Klangebene hast du hervorragend gelöst, wobei mich vor allem das Duo von Lilli und dem abgetakelten Frack-Typen begeisterte – da wurde ich fast neidisch – aber auch das „Schnorregige-Orchester“ und der Klang der Sauf-Szene sind mir stark in Erinnerung. Die Kontrabass-Begleitung überzeugte eigentlich in jedem Moment, diskret und doch präsent und durchaus wert, zuzuhören (was bei Theatermusik nicht immer der Fall ist) –
Und nicht zu vergessen die Filmaufnahmen – das weite Meer schuf einen riesigen Raum – eine „Sehnsuchtsweite“ – und die vom Kameramann sehr geschickt aufgenommen und vergrösserten Personen- und Szenenausschnitte waren nicht nur fesselnd, sondern erzeugten eine schon fast greifbare Nähe.
Der Publikumseinbezug war von Anfang an reizvoll und das Ende ersparte uns das meist so blöde Klatsch- und Verbeugetheater.» Ulrich Gasser
«Alle Welt redet von Inklusion. In dem Stück „Beine baumeln himmelwärts“ wird sie gelebt, mit allen Sinnen ausgekostet und genossen. Professionell anmutender Körperausdruck und der Kampf mit den alltäglichen Herausforderungen einer körperlichen, mentalen oder psychischen Einschränkung stehen nebeneinander. Schonungslos? Auf eine mutige Art: ja.
Im Verlauf wird aber deutlich, wie sich „Stärken“ und „Schwächen“ der Spieler verbinden, sich durchmischen, sich umkehren und zu einem Neuen, beglückenden, großartigen Ganzen werden können.
Auf einer anderen Ebene holt jeder der Spieler die äußere Inklusionsdebatte für sich nach innen.
Poetische Worte über das Annehmen der Körperseite, die nicht funktioniert, das in vollen Zügen genossene orgiastische Nudelessen, der Tanz in einem schäbigen abgewohnten leeren Altbau, der die innere Schönheit eines Menschen zum Glühen bringt… dies sind nur 3 Bilder von vielen, die mich teilweise zu Tränen gerührt haben.
Hier zeigen uns die Menschen, die auf den ersten Blick in ihrer Lebensführung eingeschränkt sind, eine tiefe innere Weisheit; dass es möglich ist, die eigene versteckte Behinderung, den Schatten, das Ungeliebte mit viel Herz in die Persönlichkeit zu integrieren.
Sie zeigen uns mit Humor und Tiefe einen Weg, wie eigene Dunkelheiten nicht mehr ausgelagert werden müssen in Form von gesellschaftlicher Ächtung der „anderen“. Ein liebevoller, glücklicher, kluger Weg und eine wunderbare Vision: Das Wort „Inklusion“ hat ausgedient.» Eva Linnenbrügger–Fohmann
«Ja es gab schon Stellen wo ich herzhaft lachen musste und manchmal war auch für mich auch nicht klar, ob ich lachen darf oder nicht. Aber da ich vom Fach bin, hat meine Spontanität gesiegt und ich habe einfach losgeprustet.
Die Videoprojektionen vom Meer haben mich sehr auf hohe See mitgenommen die Videoaufzeichnungen der Protagonisten kam für mich fremd und überraschend artifiziell daher, aber supergenial natürlich.
Superspannend das Geräuschemachen des Musikers beim Kochen, und natürlich das echt leckere Essen nach der Vorstellung. Der Musiker war soo toll, dass ich nach der Show sofort zu ihm hingestürzt bin und ihn spontan gefragt habe, ob er auch schon mit Tänzern gearbeitet habe, da ich auf jeden einzelnen Ton derartig körperliche Reaktionen zeigte, dass in mir selbst der Wunsch nach einem Solo wieder haushoch wuchs.
Die Schauspieler alle durchweg herrlich genial, authentisch und originell, mutig, frei, fröhlich und melancholisch zugleich.
Der Hitze und dem widerspenstigen Aufführungsort trotzend, war das professionell, einfach megaspitze.» Alex Lipp
«Zuerst dachte ich: nein, ich nehme mir die Zeit nicht, für diesen, unserer Meinung nach missglückten „Kunstentwurf“ eine Rückmeldung zu geben, nun tu ich’s aber doch noch – eben kam mir wieder das Plakat in die Hände…
Wir besuchten das Stück in der Lokremise St.Gallen und gehören leider zur Gruppe „irritiert, verärgert“. So wie wir begeistert waren von Ihrem ersten Stück mit dieser Gruppe (das wir dreimal angesehen haben!), desto enttäuschter sind wir von Ihrem jetzigen Stück. Schade. Die Erwartungen waren natürlich hoch.
In unseren Augen ist das neue Stück eine missglückte Aneinanderreihung von Szenen von langweilig, skurril, abstossend, nichtssagend bis blöd. Ja, wir haben uns tatsächlich geärgert und hätten den Saal wohl schon bald verlassen, wenn wir nicht die ganze Zeit gedacht hätten, irgendwas MUSS doch noch kommen, irgendein roter Faden, eine aufklärende Szene, was das Ganze soll. Aber nichts dergleichen – oder jedenfalls ist in unseren Köpfen und Herzen nichts wirklich Positives angekommen. Ich wurde im Publikum auserwählt, einen Mundschutz zu tragen…. wozu? Irgendwann legte ich ihn irritiert unter meinen Stuhl.
Abstossende Szenen wie ellenlang „grusig essen“, einander mit Sekt anspucken etc. – einfach „dégoûtant“.
Am Schluss hatten wir nicht einmal die Gelegenheit, unsern Unmut durch „Nicht-applaudieren“ kund zu tun. Stattdessen wurden wir zum Tanz aufgefordert, mussten, um keine Spielverderber zu sein, auch noch gute Miene machen und dann wars einfach irgendwann aus, „faded out“ sozusagen.
Als Zuschauer die ganze Zeit zu überlegen, ob man denn zu blöd ist, etwas zu verstehen oder ob man „Kunst“ einfach „per se“ gut finden muss, um dazu zu gehören, das macht uns ohnmächtig, hässig und frustriert. Wir fühlten uns verschaukelt und hätten an diesem Abend viel lieber das Orgelkonzert in unserer Gemeinde besucht, auf das wir wegen der Terminüberschneidung verzichtet hatten.» Frau und Herr Müller
«Mich hat fasziniert, wie die Grenzen zwischen Publikum und Darstellern von Anfang an aufgelöst wurden, schon durch die namentlich verlesene „Passagierliste“ gemäss ausgegebenen Bordkarten. In Brecht’scher Art und Weise gab es kein vor und hinter der Bühne, selbst nicht beim Kostümwechsel. Wie verwirrend und beeindruckend das alles ineinanderfloss, die Videoprojektionen, die Monologe, die Musik, der Tanz … eine Reise zu sich und zu den Mitmenschen und zum Leben an sich, dem alle Verrücktheiten quasi per se schon innewohnen. Mit scheinbar einfachsten Mitteln, mit skurrilen Szenen und herrlich schrägen Typen, mündet die „Kreuzfahrt“ bezeichnenderweise im Unterdeck in eine wilde Fress- und Sauforgie, in die das Publikum wie von selbst hineinrutscht. Ohne klar definiertes Ende löst sich das Stück im Irgendwo und Nirgendwo auf.»
Alfred Kutter
«Entwickelt von den Darstellerinnen und Darstellern, engmaschig verknüpft und veredelt von Leiterin Micha Stuhlmann behält das Stück „Beine baumeln himmelwärts“ die impulsive Verspieltheit eines Traumes – die Darbietung ein Schiff, wo die Gäste Emotionen und die Räume Konventionen sind.
Die technische Inszenierung von Raphael Zürcher und Christian Schäppi, die Einbindung von (live) Video und (live) Ton war wirkungsstark und bildgewaltig und vermischte die klassische Einteilung von Bühne und Zuschauerraum. Der Schlussakt lässt die (Schweizer) Zuschauerin oder Zuschauer erschauern – gewöhnt an die Einseitigkeit einer Darbietung – und vergegenwärtigte die Möglichkeiten eines multimedialen, modernen Theaters auf herausfordernde Weise.» Fabian Lüscher
«Das Ablesen der Anwesenheitsliste fand ich bestechend. Mit diesem einfachen Mittel wird sofort klar, dass man Teil des Geschehens ist.
Die Video-Aufnahmen mit den Personen fand ich umwerfend. Diese einsamen Gestalten, gefangen im Raum, in ihrer Geschichte, in ihren Zwängen etc.
Die Meeres-Aufnahmen waren unglaublich schön und liessen mich glauben wirklich an Bord eines Schiffes zu sein. Das hat in der Shed-Halle besser funktioniert, wie in Kreuzlingen. Lag vielleicht an der Grösse des Raumes?
In der Shedhalle habe ich die Gruppenaktionen sehr geniessen können…auch mit den Videoprojektionen im Hintergrund zusammen. Ich war überfordert und konnte mich dabei beobachten, wie ich versuchte, alles mitzukriegen, mich dann aber entspannt habe und meinen Blick zu dem schweifen liess, was mich interessierte.
Das Essen fand ich beide Male wundervoll in seinen Kontrasten (steifes Tischtuch/Lillis Träger, wildsinnliches Fressen/akkurat-verzweifelter Versuch Ananas zu essen) und seiner Sinnlichkeit.
Insgesamt waren es für mich in Kreuzlingen zu viele Soli hintereinander, ich fand den Rhythmus in Frauenfeld besser.
Vor allem hineingezogen haben mich Urs und Tobias, wegen ihrer jeweiligen starken Präsenz und die Geschichtenerzählerin.
Es fällt mir einfach immer wieder auf, wie stark Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung auf der Bühne wirken und wieviel die anderen Akteure tun müssen…oder besser gesagt, lassen sollten… » Elfriede Schläpfer-Schmücker
«Beine baumeln himmelwärts ist ein Bühnenstück, bei welchem der Beobachter auf eine farbenfrohe, dynamische und mit Impressionen gespickten Schiffsreise mitgenommen wird.
Bereits zu Beginn kann der Zuschauer nur mutmaßen, was das Ziel dieser Reise sein wird, ob es sich rein um eine kurzweilige Inszenierung handelt oder in welcher Hinsicht Sie uns eventuell, bezüglich unseres eigenen Daseins eine Richtung aufzeigen soll. Doch diese Frage muss sich wohl jeder Zuschauer individuell, während des Stückes stellen.
Noch bevor die eigentlich Aufführung beginnt, wird eine Schiffs-Boardkarte ausgeteilt, sowie die Anwesenheit der Teilnehmer geprüft, was dem Zuschauer von Beginn an signalisiert, dass es sich nicht um ein herkömmliches Theaterstück handelt.
Die Hauptdarsteller, welche unterschiedlicher nicht seien könnten, stellen in Einzelpassagen eindrucksstark Ihre Gefühle, Gedanken und Emotionen dar oder erzählen schlichtweg aus Teilen Ihrer Lebensgeschichte.
Besonders eindrucksvoll war hierbei der Einsatz einer Videokamera, welche das Gefilmte direkt auf die sich im Hintergrund, befindlichen Leinwände übertrug. Zielgerichtet wurde der Fokus auf kleinste, die Emotionen verstärkende, Körperbewegungen der Hauptakteure gerichtet und sorgte in Kombination mit dem Bühnenbild, der Beleuchtung, sowie der live gespielten Musik für eine fesselnde Atmosphäre.
Die Gesamtheit der unterschiedlichen Eindrücke, die Disparität der einzelnen Darsteller, sowie deren schauspielerische Leistung, aber auch die liebevoll integrierten Elemente, sorgten für ein unfassbares Ambiente.
Auch wenn sich für mich selbst die Frage nach dem Ziel der Reise nicht ganz beantwortet hat, war es ein unterhaltsamer und von neuen Impressionen geprägter Abend! Und bereits dies kann in Hinsicht auf die Anfangsaussage, als eine Art der Beeinflussung des individuellen Weges gesehen werden J.» Jannis Schey
«Das Stück strahlte eine ergreifende poetische Kraft aus, die das Publikum mitnahm. Seine Wirksamkeit speiste sich nicht nur aus der anspruchsvollen Thematik und einbeziehenden Inszenierung, sondern ebenso durch die Mischung verschiedener Spielweisen (Text, Film und Tanz) sowie eine gelungene, berührende Präsentation.
Dazu trug vor allem bei, dass die individuelle Vorstellung der einzelnen Mitwirkenden sehr geschickt und unauffällig in Auseinandersetzungen und Gruppenspiele übergingen, was zum gesamten Aufbau der Inszenierung wesentlich beitrug. Alle Mitwirkenden hatten ihren festen Platz, konnten ihre besondere Individualität zur Geltung bringen, was sie beschäftigte und besorgte – dabei erfolgte die Darstellung in einer Weise, dass damit das Publikum erreicht werden konnte.
Gleichfalls waren Text und Bewegung gut aufeinander abgestimmt. Das erhöhte die Spannungsmomente und förderte verschiedene Erlebens- und Sichtweisen. Das gesamte Bewegungsbild des Ensembles war sehr stimmig und die tänzerischen Phasen im Stück waren sehr eindrucksvoll.
Immer wieder erstaunten und belebten raffinierte, überraschende Details das Geschehen, die für eine gute Abwechslung und heitere Belebung sorgten. Das reichte bis zur ‚Bewirtung‘ des Publikums am Ende des Stückes – als Ausweis der Zusammengehörigkeit.
Ganz großartig war die filmische Begleitung des Stückes auf zwei Leinwänden, was sowohl die Bildhaftigkeit einer Seereise unterstrich als auch das Spiel der Mitwirkenden betonte. Darüber hinaus waren die filmischen Bilder schlicht ästhetisch schön, vermochten für sich zu fesseln, ohne vom Geschehen auf der Bühne abzulenken.
Als bemerkenswert gelungen ist die Einbeziehung des Publikums zu bezeichnen, die nicht nur sporadisch erfolgte, sondern die gesamte Aufführung von Anfang bis Ende, von der überraschenden Einführung bis zum gemeinsamen Ausklang, begleitete. Die Einbeziehung des Publikums blieb zudem nicht passiv, sondern gipfelte in persönlichem Kontakt und aktiver Beteiligung.
Hervorzuheben ist die besondere Regieleistung: Nicht nur die spezielle Art ihrer Präsenz und ihres Eingreifens war für das Verständnis und die Einbeziehung sehr wertvoll, ebenso erwies sie sich als produktive Grundidee und als Teil des Stückes, mit besinnlichen wie heiteren Momenten, eine sanfte Anleitung und hilfreiche Unterstützung zum Verstehen der einzelnen Szenen und des gesamten Spielablaufs.
Das Stück und seine Präsentation kann als einzigartig, außerhalb von allen Schablonen, bezeichnet werden. Es gelang dem Stück und seiner Thematik wie dem Auftritt der einzelnen Mitspieler und dem Spiel des Ensembles tief zu berühren, Nachdenklichkeit und Anteilnahme zu bewirken, aber auch empathische Gefühle und verständnisvolle Einsichten zugleich hervorzurufen.» Dagmar und Tino Bargel