Laboratorium für Artenschutz

Das Kunstprojekt «Laboratorium für Artenschutz» ist ein Langzeitprojekt und wurde 2012 ins Leben gerufen. Einzelne Bühnen- und Filmprojekte reihen sich aneinander und bilden einen roten Faden: Das Laboratorium für Artenschutz versteht sich als Experimentier- und Forschungsfeld zwischen Alltag und Kunst, Leben und Inszenierung, zwischen Dasein und Bühne mit dem Ziel, die Artenvielfalt des Menschseins zu erhalten, bzw. zu verbessern.

Das Ensemble besteht aktuell aus 9 Menschen zwischen 23 und 83 Jahren, mit und ohne Beeinträchtigung. Alle kommen aus sehr verschiedenen Lebenszusammenhängen und stehend stellvertretend für die vielen Gruppierungen unserer Gesellschaft.

Die Unterschiedlichkeit der Menschen bringt ein breites Angebot an Gedanken, Fragen, Neigungen und Talenten mit sich. So unterschiedlich wie ihr Denken und Erleben, ist die Art, wie sie sich selbst erforschen und sich mitteilen.

Wir widmen uns untersuchend und forschend den Barrieren unseres Denkens und Fühlens. Wir wollen uns auf die Schliche kommen, in welcher Weise wir Menschen mit anderen Daseinsbedingungen begegnen, wie und warum Ausschluss, Entwertung, Tabuisierung als persönliche «Rettungsmassnahme» eingesetzt wird, trotz aller Bemühung um die Einhaltung von Menschenrecht und Menschenwürde.

Ich bin überzeugt, dass nur über den Respekt vor der Vielfalt an menschlichem Ausdruck, eine gesellschaftlich relevante und innovative Kunst entsteht. Kunst hat für mich u.a. die Aufgabe gesellschaftliche Entwicklungen als Seismograph aufzuspüren, freizulegen und zu vermitteln.  
Wir alle wollen unsere persönlichen Frei- und Spielräume weiten, wollen uns sinnhaft und selbstwirksam erleben und dabei im Kontakt und Dialog stehen.

Die Interaktionsprozesse dieses heterogenen Ensembles fordern einen sorgsamen Umgang. In der Arbeit wird deutlich wie komplex und herausfordernd gelebte Inklusion ist. Der künstlerische Prozess ist zeitintensiv und verlangt einen offenen, weichen und sehr geduldigen Umgang. Die unterschiedlichen Voraussetzungen des Ensembles, die einerseits produktiv und erweiternd sind, können andererseits schnell zu Missverständnissen, Meinungsverschiedenheiten oder Fehlschlüssen führen. Nicht immer ist die Grundhaltung «Wir sind alle gleichwertig» in der Praxis leicht und ohne Widerspruch umsetzbar. Nur durch diese intensive Auseinandersetzung begegnen uns Stolperstellen, die sich in Konzepten allzu oft schlüssig und nachvollziehbar anhören.
Mit der Arbeit im Laboratorium für Artenschutz wollen wir die Grundhaltung der Inklusion nach aussen tragen, wir wollen einen Schneeballprozess antreiben, der uns selbst begeistert mitreisst. Dabei ist uns bewusst, dass wir einen andauernden, dynamischen Prozess antreiben, der beständig reflektiert werden muss. (Hinweis: Inklusion impliziert mit ihrer Bewegung des Einschliessens menschlicher Erscheinungsformen, immer auch den Ausschluss.)
Wir wollen die Begegnung auf Augenhöhe üben und erlebbar machen und dabei ganz nebenbei über Tuchfühlung mit Publikum, Hemmschwellen abbauen.
Die Barrieren, die Bordsteinkanten sind als erstes in unserem Kopf zu überwinden, und danach Herz und Bauch zu öffnen – genau hier setzt unser Brückenbau an.

Vom Ort der Begegnung, des selbstversunkenen Spielens, des Suchens und Erprobens fliessen Ergebnisse von angehenden Experten des Eigensinns und der Eigenarten, direkt in die Versuchsanordnungen hinein. Die Zwischenergebnisse aus dieser Laborsituation werden geordnet, ausgewertet, weiterentwickelt und öffentlich gemacht.

Inszenierungsstrategien und Zuschauerpartizipation dienen dazu, gesellschaftlichen Bewegungsdynamiken tiefer auf den Grund zu gehen, den Fragenkatalog rund um das Thema des Menschseins zu erweitern und dabei möglicherweise Antworten zu finden, die das Menschsein, in all seinen schillernden Ausformungen, zum Wohle aller ermöglichen. Der experimentelle Charakter bleibt auch in der Inszenierungssituation bestehen.

Produktionen, öffentliche Proben und Positionspapiere dienen zur Verbreitung vorläufiger Forschungsergebnisse und zur Vernetzung mit Menschen und Institutionen, die an den gleichen Zielen nachhaltig arbeiten.
Wir verhandeln die «Barrierefreiheit» des eigenen Kopfes, lassen ihn auch über seine Bordsteinkanten stolpern, damit er erkennen kann, wo Behinderung anfängt.

Die Arbeit im Laboratorium versteht sich als Entwicklungsraum. Hier werden Methoden angeboten, die vor allem an den Alltagsfähigkeiten der Forschenden ansetzen. Diese zur Eigenbeobachtung und Reflexion anzuregen und sie mit ihrem authentischen Selbstausdruck zu verbinden, ist ein zentrales Ziel.
Die dafür geeigneten Medien sind in erster Linie der eigene Körper, seine alltägliche wie auch tänzerische Bewegung, seine Sprech- und Singstimme.
Sich auf den eigenen Körper und seinen ureigenen Ausdruck im Bühnenraum zu reduzieren ist ein eindeutiges Statement in einer Zeit des Übermasses, des Überschusses und der Überästhetisierung der Alltagswelt.

Neben der Arbeit am Eigenen mittels Selbsterforschung, geht es immer auch um das Andere, den Anderen und dessen Welt. Diese Teilhabe trägt als rückbezüglicher Prozess, ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten in sich, auch wenn dies anfangs ein Verlassen der gewohnten Komfort- und Schutzzone bedeuten kann.

Die Integration des Alltags ins Labor und der Labor-Erfahrungen in den Alltag ist für die Entwicklung gesellschaftlich relevanter und alltagsbezogener Inhalte von grosser Bedeutung. Die Spass- und Eventkultur verstellt manchen Blick auf Wesentliches. Dagegen ist das Aufstöbern, Aufdecken und Aufstören der sinnlichen Wahrnehmung, der verinnerlichten Grundhaltungen und Werte und die daraus resultierenden Handlungsschritte, zunächst einmal eher eine ungewohnte, unbequeme Art sich das Leben zu erschliessen.
Mir scheint ein Infragestellen unserer gewohnten Selbst-, Fremd-, und Weltwahrnehmung notwendige Voraussetzung, um an gesellschaftlich relevante, universelle Themen und Handlungen zu gelangen.
Festzustellen, dass die Eigenwahrnehmung fast nie mit der Fremdwahrnehmung deckungsgleich ist, bringt manches Lächeln hervor –  ein wunderbarer Anknüpfungspunkt für ausgedehnte und mutige Forschungsarbeiten –  weit über die Laboratoriumsgrenzen hinaus – in fremde und ungewohnte Lebens- und Arbeitsbereiche hinein.

Das Laboratorium gibt einerseits öffentliche Einblicke in Proben- und Erarbeitungsprozesse und bietet sich als mobiles Experimentierfeld für Menschen an, die <Inklusion> über eigenes, leibhaftes Erleben aufspüren und darüber zu eigenen, verhandelbaren Positionen gelangen wollen.